Mit den ersten Dieselfahrverboten in Hamburg Ende Mai hat sie wieder eine neue Dynamik bekommen – die Diskussion über die passenden Instrumente zur Schaffung eines umwelt- und stadtverträglicheren Verkehrssystems in den Städten. Und wie immer werden vor allem von Politik und Wirtschaft scheinbar einfache Lösungen propagiert, technologieorientierte Lösungen, die als in erster Linie digitale Innovationen möglichst wenig weh tun sollen und quasi von selbst alle Probleme aus der Welt schaffen.

Dazu gehören auch die neuen Mobilitätsangebote in der Grauzone zwischen privatem Autoverkehr und ÖPNV, die vor allem „gepoolt“, also als Sammelverkehre, von vielen (insbesondere den Anbietern selber, aber auch in der Politik und von Teilen der Verkehrswissenschaft) geradezu als Heilsbringer gesehen werden. „In Zukunft wird Autoverkehr nur noch geteilt stattfinden, der private Autobesitz gehört der Vergangenheit an“, so oder ähnlich ist es vielerorts zu hören. Die vielfach vertretene Ansicht: sobald die Voraussetzungen gegeben sind (z. B. durch umfassende Deregulierung bei den rechtlichen Rahmenbedingungen), werden diese Angebote überall verfügbar sein und auch umfassend genutzt werden. Die „drei Revolutionen“ sollen es richten: Elektrifizierung, Automatisierung und geteilte Mobilität.

Mehr Risiken als Chancen?

Doch leider: was bislang nur wenige, meist belächelte Skeptiker formulierten, wird durch immer mehr empirische Erkenntnisse bestätigt: der Schuss droht nach hinten loszugehen. Umfassende Untersuchungen in den USA zeigen, dass dort, wo die Betreiber der neuen digitalen Angebote massiv vertreten sind, dies nicht etwa zu einem Rückgang des Kfz-Verkehrs in den Straßen geführt hat, sondern die Kunden dieser Angebote zum überwiegenden Teil vorher Verkehrsmittel des Umweltverbunds genutzt haben oder ihren Weg gar nicht angetreten hätten. Konsequenz: gerade auch in den großen Städten an der Ostküste wie New York und Boston gehen die neuen Angebote vor allem zu Lasten des ÖPNV, die Straßen sind voller geworden. Noch nicht veröffentlichte Studien legen nahe, dass selbst bei einer durchschnittlichen Belegung eines „Pool“-Fahrzeugs mit zwei Fahrgästen (wovon die neuen Angebote in der Regel noch weit entfernt sind) dies nicht zu einem Rückgang des Kfz-Aufkommens führt.

Und szenarische Betrachtungen z. B. von Lewis Fulton (University of California, Davis) lassen auch die Zukunft bei einem weiteren Ausrollen der „drei Revolutionen“ nicht so rosig erscheinen: ohne umfassende Regulierung (auch monetärer Art) und weitere begleitende Maßnahmen ist davon auszugehen, dass der private Autobesitz auch bei einer weitgehenden Marktdurchdringung von Elektrifizierung und Automatisierung eine hohe Attraktivität behalten wird (mehr Informationen dazu hier) – und es gibt keinen Anlass zu glauben, dass das in Deutschland anders sein würde. Jan Werner und Astrid Carl haben sich in der Ausgabe 5/2018 der Zeitschrift „Verkehr und Technik“ intensiv mit dem deutschen Markt auseinandergesetzt – und auch sie kommen zu der Schlussfolgerung, dass das Szenario, das zusätzliche Kfz-Verkehrsleistungen erwarten lässt, leider das wahrscheinlichste ist.

Angepasste Lösungen statt Patentrezepte

Die Annahme, wenn es die neuen Angebote erst gäbe, würden sie auch in der Form von der Bevölkerung angenommen wie bei den positiven Szenarien der Betreiber unterstellt und zu einer Abkehr der individuellen Autonutzung führen, ist bestenfalls naiv. Die Verkehrswende benötigt einen fundamentalen Einstellungswandel, von dem wir noch weit entfernt sind. Umso wichtiger ist es, dass neue Strategien und Maßnahmen umfassend und sorgfältig hinsichtlich ihres Beitrags zu eben diesem Mentalitätswandel überprüft werden. Dabei ist auch deutlich mehr Sorgfalt auf die Frage zu verwenden, wo denn möglicherweise tatsächlich Einsatzbereiche für die neuen digitalen bedarfsorientierten Angebote liegen könnten, z. B. dort, wo mit dem klassischen ÖPNV nie eine angemessene Angebotsqualität erreicht werden kann und wo davon ausgegangen werden kann, dass die Kunden der neuen Angebote nicht überwiegend von den Verkehrsträgern des Umweltverbunds kommen würden.

Drei Schlussfolgerungen:

  • Es ist eine Illusion, dass allein die neuen digitalen Technologien die Welt retten. Mit den „drei Revolutionen“ ist es nicht getan – und sie werden nicht so rasch kommen, wie manche glauben. Ohne weitere Maßnahmen und eine weitere Regulierung ist sogar damit zu rechnen, dass wir im Endeffekt mehr Fahrzeuge auf den Straßen haben werden.
  • Wir müssen mehr Erfahrungen sammeln, mehr forschen, mehr ausprobieren. Und da geht es nicht vorrangig um neue Technologien oder Geschäftsmodelle und deren Implementierung, sondern um Verhalten und Akzeptanz. Die Städte brauchen mehr Freiräume für solche Versuche, ggf. auch durch eine Anpassung des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG). Das heißt gerade nicht, den klassischen ÖPNV aufs Spiel zu setzen, sondern ihn durch klare Leitplanken abzusichern und gleichzeitig die Einführung neuer Angebotsformen unter dem Dach des ÖPNV leichter erproben zu können, mit definierten Mindeststandards für Evaluation und Monitoring. Die teilweise erhobenen Forderungen nach einer weitgehenden Deregulierung unter Aufgabe zentraler Bestandteile des PBefG sind fahrlässig und kontraproduktiv
  • Vor allem aber: die Fokussierung der Verkehrswendediskussion auf dieses Thema verdeckt die dringende Notwendigkeit des beschleunigten Agierens auf anderen Handlungsfeldern. Da geht es nicht nur um die Förderung von ÖPNV und Rad-/Fußverkehr, sondern auch um integrierte Stadtentwicklung im Sinne einer „Stadt der kurzen Wege“, um angemessene Bepreisung der Benutzung des öffentlichen (Straßen-)Raums, um Abbau von Anreizen zu weiterer Suburbanisierung (zu der leider auch das geplante Baukindergeld beitragen dürfte) – es gibt wirkungsvolle Instrumente, sie müssen nur eingesetzt werden. Aber leider ist der „Tunnelblick“ auf Digitalisierung und technologische Innovation auch deshalb so bequem, weil man so glaubt, sich vor konfliktträchtigeren Themen drücken zu können. Von einer konsistenten Politik im Sinne von Klimaschutz und Verkehrswende sind wir gerade auf Bundesebene leider noch weit entfernt.