Es sind derzeit bewegte Wochen für die Verkehrspolitik – auf allen Ebenen: weltweit, europäisch, national und in den Kommunen. Für eine Mobilitäts- und Verkehrswende sind die Nachrichten leider meist nicht so gut:

Diese aktuellen Entwicklungen illustrieren ein zentrales Dilemma der Mobilitäts- und Verkehrswende: ihre Notwendigkeit und Dringlichkeit werden jeden Tag deutlicher – gleichzeitig erscheint der Weg dorthin immer zäher und zögerlicher. Der Handlungsdruck verlangt eigentlich einen disruptiven Wandel, aber Politik und Gesellschaft sind offenbar noch lange nicht so weit. Die technologischen Möglichkeiten, die es gäbe, um zumindest auf Antriebsseite so disruptiv wie möglich zu agieren, werden nicht ausreichend genutzt bzw. von einflussreichen Akteuren ausgebremst. So steigt gleichzeitig der Druck auf die Handlungsfelder, die mit grundlegenden strukturellen Veränderungen verbunden sind, von der Raum- und Siedlungsentwicklung über die Gestaltung der öffentlichen Räume bis zu Einstellungsveränderungen hinsichtlich des individuellen Verkehrsverhaltens. Diese Veränderungen wiederum können von ihrer Geschwindigkeit her nicht disruptiv sein, sie brauchen Zeit und werden ohne einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs nicht erreichbar sein. Außerdem fehlt es für ihre Umsetzung in vielfacher Hinsicht noch an den geeigneten Rahmenbedingungen, auch regulativer Art.

Was folgt daraus?

Erste Schlussfolgerung: der Teil „Mobilität“ im Begriff Mobilitäts- und Verkehrswende und damit die verhaltensbezogene Ebene hat an Gewicht gewonnen und wird stärkere Lasten übernehmen müssen, wenn wir den formulierten klima- und umweltpolitischen Zielen zumindest ansatzweise näherkommen wollen. Wir können nicht auf die Lösung an der Quelle warten, so wichtig rasche und effiziente Verbesserungen in diesem Bereich auch bleiben.

Zweite Schlussfolgerung: in weiten Teilen der Gesellschaft gibt es schlicht und einfach Angst vor einer Mobilitäts- und Verkehrswende. Da geht es um die Sorge um den eigenen Arbeitsplatz wie um das Gefühl, unter vermeintlichem Zwang gewohnte Lebensweisen aufgeben zu müssen (und vor diesem Hintergrund teilweise auch um Ängste der Politik, durch vermeintlich zu radikale Maßnahmen relevante Teile ihrer Wählerschaft zu verlieren). Diese Ängste mit dem Hinweis auf schlichte Notwendigkeiten einfach beiseite zu wischen, wäre das Falscheste, was man tun kann, zumal es für relevante Teile der Bevölkerung, die z. B. zum Erreichen ihrer Arbeitsplätze pendeln müssen oder in ländlichen Regionen leben, durchaus nachvollziehbare Gründe gibt, allzu plakativen und einfachen Forderungen nach radikalen Veränderungen in der Mobilitäts- und Verkehrspolitik zu misstrauen.

Dritte Schlussfolgerung: in dem skizzierten Dilemma liegt auch eine Chance. Das beschriebene Politikversagen (z. B. beim Dieselthema) hat (vermutlich ungewollt) deutlich gemacht, dass die Mobilitäts- und Verkehrswende weit mehr ist als ein bisschen technologischer Wandel hier, ein bisschen Digitalisierung da, ein bisschen Verkehrsmanagement dort – so wie es vor allem auf der Bundesebene viele Akteure suggerieren, etwa seitens des Bundesverkehrsministeriums oder der Automobilindustrie, auch aus einem sehr reduzierten Verständnis von Verkehr und Mobilität heraus (so setzt der VW-Vorstandsvorsitzende Diess in seinen jüngsten Äußerungen immer noch Mobilität mit Autofahren gleich). Andere umfassendere Ansätze bekommen damit ein höheres Gewicht, erfreulicherweise auch in der medialen Wahrnehmung: wie wollen wir eigentlich in Zukunft in unserer gebauten Umwelt leben? Wie sollen unsere Städte und Gemeinden aussehen? Welche Qualitäten wünschen wir uns für die öffentlichen Räume, unsere „Außenwohnzimmer“?

Wir brauchen einen pragmatischen Transformationsprozess auf Basis einer positiven Vision

Vor diesem Hintergrund brauchen wir endlich eine breite gesellschaftliche Diskussion zu diesen Fragen, die über die Fachwelt und den Teil der Zivilgesellschaft hinaus geht, der sich schon lange nicht nur unter dem Klimaschutzaspekt für eine Mobilitäts- und Verkehrswende engagiert. Es geht darum, wo wir hin wollen und nicht darum, was nicht mehr sein soll. Es geht um (neudeutsch) eine Storyline. Und ganz offenkundig muss das mehr sein als die Vision der digitalen und automatisierten Smart City, die die Menschen nicht wirklich bei ihren Bedürfnissen und Wünschen abholt. Und es muss auch mehr sein als eine Welt, in der das Fahrrad lediglich das neue Auto ist. Ein tiefgreifender Transformationsprozess – und um den geht es hier – braucht positive Botschaften und gleichzeitig pragmatische Konzepte, um diesen Prozess nachhaltig zu gestalten und in der Gesellschaft zu verankern. Pragmatismus ist nicht der Feind der Veränderung – ohne ihn ist sie in einem demokratischen System im Regelfall nicht erreichbar. Und pragmatisch heißt auch nicht Zögerlichkeit – im Gegenteil: es heißt anpacken und umsetzen, zwar auf Basis einer ambitionierten Vision, aber von den derzeitigen Realitäten und Bedürfnissen der Menschen ausgehend. Eine disruptive „Wende“, die offenkundig einen relevanten Anteil der Bevölkerung als Verlierer in Kauf nimmt, wird nicht funktionieren. Man kann die Mobilitäts- und Verkehrswende nicht einfach verkünden oder beschließen. Die Wahrheit (egal ob objektiv oder subjektiv) ist noch lange nicht gleichbedeutend mit einer gesellschaftlichen Mehrheit. In einem lesenswerten Gespräch mit der ZEIT (Ausgabe Nr. 40/2018) hat sich kürzlich Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann mit der Frage beschäftigt, warum es so schwierig ist, dringend erforderliche Veränderungen in reale Politik umzusetzen und warum disruptive Politik am Ende so oft scheitert: „Das große Problem der Demokratie sind die Übergänge. Wenn Du den Übergang nicht organisiert bekommst, scheiterst Du“.

Auch wenn es in Sachen Klimaschutz schon manchmal 5 nach 12 zu sein scheint (s. oben), verzagen sollten wir trotzdem nicht. Die Bundesebene hat bislang versagt, den notwendigen diskursiven Prozess zur Mobilitäts- und Verkehrswende in Gang zu bringen. Wenn es irgendwo gelingen kann, diesen doch noch aufzugleisen und tatsächlich die notwendigen Veränderungen mehrheitsfähig zu machen, dann ist es die kommunale Ebene. Städte und Gemeinden sind die Orte, an denen die Chancen, die in dieser Transformation stecken, sichtbar werden können. Packen wir’s an.