Wenn man sich mit klugen Menschen unterhält, denen die Verkehrswende (ich weiß, es gibt da mittlerweile unterschiedliche und vielleicht auch bessere Begrifflichkeiten, aber ich bleibe erstmal dabei) ein ernsthaftes Anliegen ist und die nicht nur einen sektoralen Teilaspekt davon vor Augen haben, dann ertappt man sich dabei, dass die Gespräche rasch einen ziemlich resignativen Touch bekommen: Geht es mit dem notwendigen Wandel tatsächlich noch voran? Dass auf Bundesebene vieles ins Stocken geraten ist, daran hat man sich ja (leider) schon fast gewöhnt. Aber sind nicht zumindest die Kommunen im Rahmen ihrer Möglichkeiten vielerorts trotzdem kontinuierlich vorangeschritten, wenn auch vielleicht nicht immer so rasch, wie man sich das wünscht? Haben die Städte und Gemeinden nicht z. B. über die Initiative „Lebenswerte Städte“ gezeigt, dass sie sich über parteiideologische Gräben hinweg im Sinne der Sache die nachhaltige Entwicklung von Mobilität und Verkehr vorantreiben wollen?

Da gibt es dann eine (Wiederholungs-)Wahl in Berlin (im Februar 2023) und plötzlich steht die Frage im Raum, ob sämtlicher Fortschritt der letzten Jahre zur Disposition steht. Das ist nicht nur ein Berliner Thema – in ganz Deutschland und auch im Ausland wird sehr genau hingeschaut, was hier passiert. Denn: Es ist leider noch längst nicht so, dass es in den Städten überall eine gesellschaftliche Mehrheit für den Wandel und die damit verbundenen notwendigen Maßnahmen gäbe. Und der Wandel braucht nun mal solche Mehrheiten (auch in den politischen Gremien), ob wir das wollen oder nicht. Wie fragil diese Mehrheiten häufig sind, zeigt sich auch in Vorzeige-Städten wie Barcelona: Nach den letzten Kommunalwahlen und dem damit verbundenen Mehrheitswechsel ist der Ausbau der Superblocks erstmal gestoppt.

Grund genug also, mal genauer hinzuschauen, was eigentlich in Berlin los ist und bei der Gelegenheit mit Paris und Wien auf zwei andere verkehrspolitisch hochambitionierte Hauptstädte zu blicken, die ich in diesem Sommer besuchen konnte.

Berlin, 1. Akt (März bis Juni 2023)

Was gerade in Berlin passiert, ist nach einem halben Jahr auch auf den zweiten Blick immer noch nicht so recht zu begreifen. Nun ist ein Machtwechsel erstmal etwas ganz Normales. Es kann wirklich niemanden überraschen, dass die CDU nach der nach ihrer Lesart auch wegen der Verkehrspolitik gewonnenen Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus erstmal ein paar Zeichen setzen will bzw. muss, um ihrer Wählerschaft deutlich zu machen, dass sie im Wahlkampf nicht nur Sprüche geklopft hat. Das mag fachlich falsch sein, ist aber durchaus legitim – unter anderen Vorzeichen würde das jede andere Partei genauso machen, nur ggf. mit anderen „Zeichen“. Dass die Friedrichstraße nach der (wahltaktisch ausgesprochen ungeschickten) erneuten Schließung wenige Wochen vor der Wahl nun wieder für den Autoverkehr geöffnet worden ist, war völlig klar. Selbst dass einige von der Vorgängerregierung vorangetriebene Projekte erstmal „on hold“ gestellt werden, war im Grunde zu erwarten und ist ein Stück weit politisch nachvollziehbar, einiges an der dadurch ausgelösten Empörung ist deshalb auch etwas scheinheilig (zumal es mit Selbstkritik bezüglich etwaiger Fehler der Vorgängerregierung nicht weit her war und ist). Allerdings war die Kommunikation dieser Entscheidungen so grottenschlecht, dass der öffentliche Eindruck eines verkehrspolitischen „Rollbacks“ nicht verwundern muss. Dennoch war meine Einschätzung nach den ersten drei Monaten: Erstmal abwarten, da wird sich noch einiges zurechtrütteln, auch die Positionen der neuen Senatorin Manja Schreiner und ihrer Staatssekretärin waren für mich noch nicht so richtig klar.

Zwischenspiel I: Paris

Als ich Mitte Juni im Rahmen der Jahrestagung des von mir gemanagten europäischen Städtenetzwerks IMPACTS nach Paris kam, war ich zehn Jahre nach meinem letzten Besuch neugierig, aber auch ein bisschen skeptisch. Die ganze Begeisterung auf Twitter & Co. über die dortigen Veränderungen mochte ich nicht so recht glauben: Kann sich eine Stadt so schnell wandeln? Ist mehr dahinter als nur ein paar gut vermarktete Symbolprojekte? Nach der Konferenz mit hochinteressanten Vorträgen des Pariser Deputy Mayor David Belliard und weiterer Vertreter*innen der Pariser Stadtverwaltung, spannenden Ortsbesichtigungen und eigenen Erkundungen war ich beeindruckt: Klar, Paris ist in weiten Teilen immer noch eine Autostadt, auch in dieser Stadt dauert so ein Transformationsprozess viele Jahre. Aber was dort passiert, ist weit mehr als das, was vorrangig durch die sozialen Medien geistert (David Belliard meinte ironisch, eigentlich hätten sie die Rue de Rivoli nur für Twitter umgestaltet). Der Wandel erfasst die gesamte Stadt, auch in den weniger touristischen Außenbezirken. Das betrifft nicht nur das schon lange existierende Fahrradverleihsystem Vélib (da lernt man, was „flächendeckende Verfügbarkeit“ eigentlich wirklich heißt…), sondern auch die vielen kleinen Interventionen im Straßenraum, seien es Begrünungsmaßnahmen zur Verbesserung der klimatischen Situation, neue Radverkehrsanlagen oder temporäre Aufenthaltsflächen. Aufgrund der ungeheuren Dichte von Paris sind diese Maßnahmen automatisch fast immer mit dem Abbau von Kfz-Stellplätzen verbunden. Das alles ordnet sich mit dem Narrativ der „15-Minuten-Stadt“ unter ein positives Leitbild ein, so dass die Maßnahmen klaren Zielen zugeordnet werden können und nicht als Selbstzweck erscheinen. Symbolprojekte wie das autofreie Ufer der Seine stiften zudem einen sofort erkennbaren Mehrwert für die Stadtbevölkerung. Wie macht die Stadt das? Es ist eine Mischung aus vielem: Klarer politischer Wille, konsistentes und stringentes politisches und fachliches Handeln, Mut zum Ausprobieren, einfacheres Planungsrecht, gute Kommunikation (was sind die Benefits für alle?) – und vielleicht auch höherer Leidensdruck (z. B. im Vergleich zu Berlin). Die Geschwindigkeit bei Planung und Umsetzung von Projekten ist beeindruckend (dies gilt auch für große Infrastrukturprojekte wie das regionale Metronetz Grand Paris Express – das ist aber ein anderes, vielleicht auch kontroverser zu diskutierendes Thema).

Mitten in die Tagung in Paris platzte dann die Nachricht aus Berlin, dass dort alle größeren Radverkehrsprojekte angehalten worden seien, angeblich mit der Maßgabe, dass nur noch Maßnahmen umgesetzt werden sollten, bei denen keine Kfz-Stellplätze entfielen…

Zwischenspiel II: Wien

Dass Wien (dort war ich Ende Juli im Rahmen eines privaten Aufenthalts) regelmäßig bei den verschiedenen Städterankings in Bezug auf Lebensqualität einen Spitzenplatz belegt (so jüngst wieder auf Platz 1 im neuen Ranking des „Economist“, verwundert nicht wirklich. Wien ist schließlich seit langem dafür bekannt, dass dort auf den verschiedensten stadtpolitischen Themenfeldern mit großer Kontinuität und Konsequenz gearbeitet wird, sei es bei der Wohnungspolitik oder bei der Entwicklung neuer Stadtteile und Quartiere (nicht nur der Seestadt Aspern). Beim Thema Mobilität betrifft das etwa die Tarifpolitik beim ÖPNV (365-Euro-Ticket), den Infrastrukturausbau für ÖPNV und Radverkehr oder die Umgestaltung des öffentlichen Raums (u. a. mit der Mariahilfer Straße als dem Wiener Symbolprojekt schlechthin, auch wenn da durchaus nicht alles rundgelaufen ist). Es gibt auch in Wien eine weitgehend schlüssige Gesamtstrategie, die mit hoher Kontinuität weiterentwickelt und umgesetzt wird.

Was mich in diesem Sommer bei der Erkundung der Stadt neben den bekannten Vorzügen am meisten beeindruckt hat, waren die in den Innenstadtbezirken überall sichtbaren kleinen und großen Maßnahmen, die das Ziel haben, die Stadt klimaresilienter zu machen, ob durch neue Bäume, Pflanzinseln oder Rankgerüste: Selbst auf engstem Raum geschieht dies, wie in Paris auch zu Lasten von Kfz-Stellplätzen. Stichwort Parken: Mittlerweile gilt im gesamten Stadtgebiet Parkraumbewirtschaftung. Auch wer am Stadtrand durch die Weinberge bummeln will, muss im öffentlichen Straßenraum dafür bezahlen (natürlich digital), die nächsten Tramstation ist aber auch nicht weit – „push“ und „pull“ at its best. Wien ruht sich also nicht aus, Wien macht weiter. Und Berlin?

Berlin, 2. Akt (September 2023)

Etwa ein halbes Jahr ist die neue Berliner Landesregierung nun im Amt, man sollte denken, dass nunmehr eine klare verkehrspolitische Linie erkennbar wäre. Das gilt allenfalls bedingt. Hatte ich über den Sommer zunächst den Eindruck, dass hinter dem medialen Pulverdampf ein Stück weit Pragmatismus einkehrt und der Transformationsprozess im Hinblick auf die Mobilitätswende zwar verlangsamt, aber eben doch fortgesetzt wird (z. B. werden viele der zunächst angehaltenen Radverkehrsmaßnahmen jetzt doch realisiert, selbst wenn dies auf Kosten von Kfz-Stellplätzen erfolgt), habe ich daran mittlerweile immer mehr Zweifel.

Der Haupteindruck: Da hat eigentlich niemand einen Plan und ist komplett damit überfordert, eine schlüssige Strategie zu entwickeln. Bei der Berliner CDU, die die zuständige Senatorin und auch den Regierenden Bürgermeister stellt, scheint man in den letzten Jahren sämtliche verkehrspolitischen Entwicklungen und Diskussionen auf kommunaler Ebene komplett verschlafen zu haben und ersetzt deshalb Fachpolitik erstmal durch ein dumpfes „so nicht“ (in anderen Städten ist die CDU bei dem Thema übrigens deutlich weiter und progressiver), die mitregierende SPD hüllt sich in vornehmes Schweigen. Bei der neuen Verkehrssenatorin Manja Schreiner und ihrer Staatssekretärin bin ich mir immer noch nicht sicher, ob sie wirklich alles so meinen, wie sie es sagen oder ob sie nicht teilweise auch von der CDU-Fraktion und/oder dem CDU-Landesverband getrieben werden. Aber dadurch wird es auch nicht besser, im Gegenteil: Wenn die zuständige Senatorin sich fachlich nicht gegen Fraktion und Partei behaupten kann, wird sie ihrer Aufgabe nicht ausreichend gerecht. Dazu müsste sie allerdings auch der Fachmeinung ihrer hochkompetenten und engagierten Mitarbeitenden trauen (über das „nett“ sein hinaus, was ihr und ihrer Staatssekretärin allgemein zugestanden wird), aber auch daran scheint es zu mangeln – für das Funktionieren einer so wichtigen und komplexen Verwaltung fatal. Drei aktuelle Beispiele, die den Eindruck verstärken, dass über das für Mobilität und Verkehr zuständige Fachressort reine Parteipolitik gemacht werden soll:

  • Die wichtigste Position auf der Fachebene der zuständigen Senatsverwaltung ist die für Mobilität und Verkehr zuständige Abteilungsleitung. Sie ist in den letzten Jahrzehnten stets auf der Basis von fachlicher Qualifikation und Führungskompetenz vergeben worden, nicht aufgrund von Parteizugehörigkeit oder -nähe. Das war im Vergleich zu anderen Ressorts tatsächlich ein Stück weit ungewöhnlich, ist aber für ein so stark von fachlichen Rahmenbedingungen geprägtes Arbeitsgebiet von großer Wichtigkeit. Wenn jetzt, wie zu lesen ist, tatsächlich die Ausschreibung dieser Stelle so verändert worden ist, dass die Bedeutung der fachlichen Qualifikation in den Hintergrund rückt, um einem bestimmten Personenkreis bzw. einer bestimmten Person bessere Chancen zu verschaffen, dann ist das, nun ja, zumindest ungewöhnlich und kein gutes Zeichen (die derzeit als mögliche neue Abteilungsleitung genannte Person kenne ich nicht und will ihre Qualifikation deshalb auch nicht beurteilen).
  • Derzeit wird über eine Neufassung des Berliner Mobilitätsgesetzes diskutiert. Dafür mag es gute Gründe geben (ich finde auch selber nicht alles toll, was drinsteht). Aber auch hier scheint offensichtlich nicht die fachliche Sichtweise die Feder zu führen, sondern die parteipolitische Brille. Parteiprofilierung vor fachlicher Notwendigkeit – bei einem für die Zukunft der Stadt so wichtigen Themenfeld keine gute Idee. Auch hier scheint die Einschätzung der Fachverwaltung nachrangig zu sein.
  • Am 15.9. hat die CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus bei Twitter (X kommt mir irgendwie schwer über die Lippen) gepostet: „Der Kampf gegen das Auto ist beendet. Wir finden, die Berliner und Berlinerinnen entscheiden selber, wie sie am besten durch die Stadt kommen. Oder wie unser Fraktionsvorsitzender Dirk Stettner sagt: ‚Mobilität für alle statt grüner Verbots-Ideologie‘. Dementsprechend wollen wir das Mobilitätsgesetz überarbeiten. Dabei setzen wir auf die Stärkung von Straßen und Kreuzungen, den Ausbau des ÖPNV und die Sanierung und den Neubau von Radwegen.“ Man mag sich über den in sich widersprüchlichen Text streiten und den Wahlkampfmodus kritisieren: am schlimmsten ist das dazu gepostete Foto, das die Kreuzung am Frankfurter Tor ausschließlich aus der Autoperspektive mit dem Text „Mobilität für alle Berliner“ zeigt – eine Kreuzung, die seit vielen Jahren einer der schlimmsten Unfallschwerpunkte in Berlin ist, wo öffentlicher Verkehr, Fuß- und Radverkehr mindestens genauso wichtig sind, aber tagtäglich unter der Dominanz des Autoverkehrs leiden.

Ich könnte noch viel zu anderen aktuellen Detailthemen der Berliner Verkehrspolitik schreiben, von der neuen Liebe zum U-Bahnbau bis zum Abmoderieren von Straßenbahn-Projekten (ausgerechnet einem für die Stadtentwicklung so wichtigen wie der Linie in das Stadterweiterungsgebiet „Blankenburger Süden“). Aber wie schon geschrieben: Ich weiß immer noch nicht wirklich, was für eine echte verkehrspolitische Strategie dahinter steckt außer „so nicht“, gepaart mit einem großen Desinteresse gegenüber dem, was anderswo in Deutschland und Europa passiert – wie in Paris oder Wien.

Was heißt das nun eigentlich für die Zukunft? Kann man etwas aus diesen unterschiedlichen Entwicklungen in diesen so unterschiedlichen Städten lernen (außer, dass es ganz offenbar gute und schlechte Symbolprojekte gibt)?

Fazit: Kein Grund zum Aufgeben

Zunächst noch einmal zu Berlin: diese Stadt ist nicht der Nabel der Welt, auch wenn sie sich manchmal dafür hält. Das gilt auch für die Mobilitäts- und Verkehrspolitik. Und zur Wahrheit gehört auch, dass das Wahlergebnis vom Februar 2023 nicht einfach vom Himmel gefallen ist. Wenn große Teile der Stadtbevölkerung sich bei der Verkehrspolitik des früheren Senats nicht ausreichend wiedergefunden haben, dann mag diese Politik zwar (in großen Teilen) fachlich richtig gewesen sein, sie hatte aber möglicherweise keine Mehrheit, zumindest auf Teilen der Maßnahmenebene. Dazu haben u. a. auch schlecht gemanagte Symbolprojekte an der falschen Stelle (Friedrichstraße), ein immer noch zu starker Innenstadtfokus, eine gewisse Selbstgerechtigkeit („wir wissen, was gut für Euch ist“) und das weitgehende Fehlen eines echten und offenen Diskurses über die Zukunft der Mobilität in Berlin beigetragen. Solange eine kritische Aufarbeitung dieser Gründe ausbleibt, darf man sich nicht wundern, wenn weiterhin gesellschaftliche Mehrheiten für einen echten Wandel fehlen.

Das entlastet das momentane Gebaren des Berliner Senats und insbesondere der CDU keineswegs. Selbst wenn es in den drei Jahren bis zur nächsten Wahl „nur“ Stagnation und keine realen Rückschritte geben sollte, wäre das schlimm genug. Für ideologische Streitereien und parteipolitische Grabenkämpfe haben wir keine Zeit. Man hat das Gefühl, dass es in dieser Stadt niemanden gibt, der endlich einen vernünftigen Diskurs zum Thema Mobilität und Verkehr in dieser Stadt organisieren kann. Und das ist wirklich traurig. Leider ist das mangelnde Vorankommen der Verkehrswende zu großen Teilen ein Politikversagen, bei weitem nicht nur in Berlin.

Mobilitätswandel, Verkehrswende, wie immer man es nennen will – es handelt sich um einen komplexen und längeren Transformationsprozess. Was es nicht einfacher macht: es ist nicht der einzige Veränderungsdruck, der auf den Menschen lastet, von den Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine über die Energiewende bis zu den Spätfolgen der Pandemie. Gerhard Matzig schrieb jüngst in der Süddeutschen Zeitung: „Unsicherheiten sind die Brandbeschleuniger des Populismus. (…) ‚Die‘ Menschen mögen Unsicherheiten nicht. Sie mögen Veränderungen nicht. Sie mögen Transformationsprozesse nicht. Dafür gibt es Gründe. (…) Veränderung bedeutet immer Energieaufwand. Geeicht ist der Mensch aber auf Energieerhalt. Das ist reine Biologie: bloß keine Veränderung, keine Bewegung, keine Wende – keine Transformation. Und wenn Veränderungen unvermeidlich sind, dann bitte nicht in meinem Vorgarten, sondern beim Nachbarn. Man mag es bedauern, Menschen sind so. Unter anderem jedenfalls (SZ, 31.08.2023)“. Exakt das trifft auch auf die das Themenfeld Mobilität und Verkehr zu.

Und trotzdem geht es ja anderswo voran, das zeigen nicht nur Paris und Wien. Die Stadt Hannover hat dieser Tage ein neues Mobilitätskonzept vorgelegt, das eigentlich gar nicht radikal ist, aber auf schlüssige Weise bewährte Maßnahmen zu einer Gesamtstrategie zusammenführt, die (begleitet durch einen umfangreichen Beteiligungsprozess) gute Chancen hat, tatsächlich breite Akzeptanz zu finden und relativ zeitnah sukzessive umgesetzt zu werden. Da gibt es keinen großen ideologischen Überbau, sondern gut begründete, ineinandergreifende Maßnahmen, deren Mehrwert für alle gleichzeitig gut vermittelt wird, auch mit passenden Bildern. Noch einmal Gerhard Matzig: „Ein Ausweg aus diesem Dilemma besteht darin, Nebenschauplätze (…) vorerst zu meiden und die relevante Transformation als neue Erzählung zu etablieren. Nicht als Verlust, sondern als Gewinn. Nach beiden Kriegen, als die Sehnsucht nach einem moralischen, technischen, sozialen und politischen Neubeginn groß war, erfand sich dieses Land erfolgreich neu. Das kann wieder gelingen. Aber nur dann, wenn die Menschen tatsächlich glauben können, als Masse, dass ihr Leben besser und nicht nur teurer, beschämender, lustloser und weniger wird (SZ vom 31.08.2023“).

Kürzlich durfte ich auf einer Veranstaltung anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Beratungsfirma KCW einen Vortrag zu einer meiner Lieblingsfragen halten: „Wie kommt das Neue in die Welt?“ – oder auch: Warum geht es bei der Verkehrswende nicht richtig voran und was muss sich ändern? Dabei ging es weniger um fachliche Themen wie Rechtsrahmen oder Finanzierung, sondern eher um die auch in diesem Text diskutierten übergeordneten Ebenen von Politik, Gesellschaft, Diskurs, Zukunftsbildern etc. Bei allem Verständnis für die momentane Frustration bei vielen aktiven Menschen und bei aller Kritik am momentanen Versagen der Politik, sahen die Empfehlungen auf meiner Schlussfolie so aus:

  • Optimistisch bleiben! Positive Geschichten vom guten Leben erzählen!
  • Um Mehrheiten kämpfen, dabei im Diskurs alle Lebenslagen ernst nehmen und Polarisierung vermeiden!
  • Pragmatismus und zielorientierte Ambition verbinden (besser ein guter Kompromiss als die nie realisierte Idealvorstellung)!
  • Integriert denken und handeln (bei Strategien, Maßnahmen, Prozessen und Kommunikation)!

Und das gilt genauso als Fazit für diese persönliche Einordnung dessen, was momentan vielen Städten passiert. Paris und Wien, aber auch andere deutsche Städte agieren in ähnlicher Richtung. Berlin hat in vielerlei Hinsicht beste Voraussetzungen, die Stadt muss nach vorne schauen, nicht nach hinten. Das Glas ist immer noch mindestens halb voll und wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass es sich weiter füllt.