Was für ein Jahr… Dieser Stoßseufzer fühlt sich so langsam an wie „Und jährlich grüßt das Murmeltier“… Seit dem Beginn der COVID-Pandemie vor knapp 5 Jahren denke ich jedes Jahr kurz vor Weihnachten: Uff, was war das für ein herausforderndes Jahr, möge das nächste Jahr doch etwas entspannter werden. Stattdessen scheint die Welt immer mehr aus den Fugen zu geraten, Wandel all überall – und nicht immer zum Guten. So auch in diesem Jahr: der fortdauernde Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine, die Ungewissheit bezüglich der Auswirkungen der erneuten Wahl Trumps zum US-Präsidenten, das Scheitern der Ampelkoalition in Deutschland, die weiter fortschreitende Polarisierung des gesellschaftlichen und politischen Diskurses… Und auch in der Mobilitäts- und Verkehrspolitik geht der Wandel nicht immer in die richtige Richtung, oft getrieben von eben dieser zunehmenden Schwarz-Weiß-Diskussion aus den verkehrspolitischen Schützengräben heraus. Die Blockade des fertigen und in einem breiten Beteiligungsverfahren erarbeiteten Mobilitätsplans für Frankfurt/Main durch die an der dortigen Regierungskoalition beteiligte FDP-Stadtverordnetenfraktion oder das mehr und mehr irrlichternde Agieren der politisch Verantwortlichen beim Land Berlin in Sachen Verkehrspolitik sind nur zwei Beispiele dafür.

Und doch: Es gibt parallel auch immer Zeichen der Hoffnung und des Fortschritts. Das gilt im Großen wie im Kleinen. Man weiß noch nicht, wie sich die Lage in Syrien nach dem Sturz des Assad-Regimes entwickeln wird, aber dass ein autokratisches System so schnell implodieren kann, ist zumindest bemerkenswert. Und was das Kleine betrifft (was manchmal gar nicht so klein ist): Hier kommen ein paar ausschließlich positive Nachrichten aus diesem Jahr in meinem beruflichen Kontext:

  • Im letzten Jahr schrieb ich an dieser Stelle zur Reform des Straßenverkehrsrechts, dass selbige wohl nach der Blockade durch den Bundesrat im November 2023 bis zum Ende der Legislaturperiode auf Eis liegen werde, „wenn nicht ein Wunder geschieht“. Ich habe mich geirrt (schließlich gibt es keine Wunder): Bund und Länder haben einen Kompromiss gefunden, ohne dass dies an die Substanz des Reformvorschlags gegangen wäre. Seit September dieses Jahres ist auch die neue StVO in Kraft. Eine große Online-Konferenz der Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ vor wenigen Wochen zeigte eindrucksvoll die Bereitschaft der Kommunen, den neuen Rechtsrahmen jetzt konstruktiv umzusetzen. Mehr zu meinen ganz persönlichen Erfahrungen auf dem langen Weg zu mehr kommunaler Handlungsfreiheit (mit dem Schwerpunkt Tempo 30) findet sich hier. Natürlich ist diese Reform in vieler Hinsicht noch unzulänglich. Aber für mich ist das Glas auf jeden Fall mehr als halb voll. Und wir sollten ohnehin das Positive mehr würdigen, als wir das häufig tun. Das Glas immer nur halb leer zu sehen, entwertet häufig das Erreichte.
  • An dieser Stelle passt ein kurzes Wort zu Bundesverkehrsminister Volker Wissing. Nach seinem Amtsantritt habe ich ihn zunächst gegen frühzeitige Kritik verteidigt. Aber angesichts diverser Entscheidungen von ihm habe ich mich dann immer öfter gefragt, ob er nicht doch eine Fehlbesetzung war. Diese Kritik an vielen verkehrspolitischen Positionen des Ministers besteht weiter. Aber sein Agieren nach dem Koalitionsbruch Anfang November einschließlich seines Austritts aus der FDP hat mir hohen Respekt abgenötigt. Solche persönliche Integrität ist leider im bundespolitischen Geschäft offenbar nicht immer die Regel. Aber es gibt sie (und vielleicht mehr, als wir das im Alltag wahrnehmen), auch das macht Mut.
  • Wenn die Umsetzung der Verkehrswende auf der großen bundespolitischen Bühne auch schwierig ist, so gibt es andererseits in der Zivilgesellschaft ganz viele tolle Projekte, die den Wandel voranbringen. Ein paar davon darf ich über die „Initiative Mobilitätskultur“ unterstützen, daraus zwei Beispiele:
    • Der Landesverband Nachhaltiges Sachsen begleitet mit dem Projekt „100fach mobil“ in drei kleinen Städten dieses Bundeslands insgesamt 60 Haushalte bei dem Versuch, die eigene Autonutzung zu reduzieren. Das ist gerade in solchen Kommunen ein dickes Brett – und deshalb umso wichtiger. Mehr dazu findet sich hier.
    • Der Deutsche Alpenverein engagiert sich schon seit längerem für mehr nachhaltige Mobilität im Alpenraum. Wir unterstützen ein Projekt (weitere Informationen hier), bei dem es darum geht, die von den negativen Auswirkungen des Alpentourismus besonders betroffenen Täler gemeinsam mit den Akteurinnen und Akteuren vor Ort autoärmer zu gestalten. Bei einem Aktionstag im Graswangtal bei Oberammergau im Juni und einem Symposium in München im November habe ich ganz viel Aufbruchstimmung und Kooperationsbereitschaft der unterschiedlichsten Beteiligten erleben dürfen.
  • Wo ich schon beim Thema Aufbruchstimmung bin: Selbige gab es auch vor wenigen Tagen bei der ersten großen Veranstaltung im Rahmen der jüngst gestarteten und bis 2034 laufenden Internationalen Bauausstellung (IBA) München zum Thema „Räume der Mobilität“. Es ist großartig, dass eine IBA das erste Mal die Mobilität in den Mittelpunkt stellt und sich dabei dem für das Gelingen der Verkehrswende zentralen Thema der Beziehungen zwischen Stadt und Umland widmet. 500 Menschen waren beim „Tag der Projekte“ dabei, 120 erste Projektideen wurden vorgestellt. Ich freue mich sehr darauf, diesen Prozess weiter zu unterstützen.
  • Ein Beispiel für die strategische Rahmenplanung auf gesamtstädtischer Ebene: In Fürth begleite ich (gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen von PTV und DialogWerke) den Prozess für einen neuen Mobilitätsplan, der nach einem schlanken, gut einjährigen Prozess vor dem Abschluss steht. Bei der letzten Sitzung des begleitenden Stakeholdergremiums, das ich moderieren durfte, erklärten sich ausnahmslos alle Beteiligten dazu bereit, bei einer Fortführung des Gremiums im Sinne einer kritisch-konstruktiven Umsetzungsbegleitung weiter dabei zu sein – Beteiligung und Kompromissfindung haben ganz offensichtlich recht gut funktioniert.
  • Ich durfte in diesem Jahr sowohl beim Deutschen Verkehrswendepreis von „Allianz pro Schiene“ als auch beim Deutschen Verkehrsplanungspreis von SRL und VCD in den Jurys mitwirken. Die Vielfalt der mit Preisen gewürdigten Projekte, aber auch aller Einsendungen insgesamt zeigt: Die Verkehrswende vor Ort auf kommunaler Ebene lebt!
  • Zum Abschluss wieder ein Blick nach Lviv (Lemberg) in der westlichen Ukraine, mitten in Europa. Viele wissen, dass ich vor dem Krieg oft dort vor Ort war, um die Stadt bei der Aufstellung und Umsetzung eines Sustainable Urban Mobility Plan (SUMP) zu unterstützen und dass ich seit Beginn von Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine versuche, so gut es geht diese Unterstützung von außen fortzusetzen. Vor einigen Tagen traf ich Anton Kolomyeytsev, den Stadtarchitekten von Lviv. Ich war erneut beeindruckt, mit welcher Unerschrockenheit und Beharrlichkeit trotz aller Widrigkeiten Anton mit seinen Kolleginnen und Kollegen an einer nachhaltigen Stadtentwicklung für Lviv arbeitet – und „nebenher“ so auch emotional herausfordernde Aufgaben wie die Entwicklung neuer Friedhofsflächen für die Gefallenen stemmt, einschließlich der Gespräche mit den Familien der Toten zur Gestaltung der Grabstätten und des Mahnmals. Im September nahm ich als Referent online an einer Konferenz in Lviv teil, bei der es um die Verbesserung der Kooperation zwischen Stadt und Umland ging. Auch hier fand ich es großartig, wie hier trotz der Gesamtsituation an wichtigen strategischen Aufgaben für die Region gearbeitet wird. Es ist manchmal beschämend, über was für (im Vergleich dazu) Lappalien wir uns in Deutschland so bitterlich beklagen.

So hat dieses Jahr trotz seiner Widrigkeiten wieder viele positive Erlebnisse für mich gebracht, vor allem die schönen und inspirierenden Begegnungen mit den Menschen, die hinter diesen Projekten stehen. Ich möchte mich wieder bei allen ganz herzlich bedanken, die mir in diesem Jahr die Mitwirkung an vielen spannenden Projekten auf den unterschiedlichsten Ebenen mit den unterschiedlichsten Themen in ebenso unterschiedlichen Rollen ermöglicht haben, so dass ich erneut einen kleinen Beitrag zum notwendigen Wandel leisten konnte.

Das Allerwichtigste aber bleibt: Alle guten Wünsche für ein frohes, entspanntes Weihnachtsfest und ein gesundes, glückliches neues Jahr! Als kleines Geschenk (und als Tribut an meine Chorleidenschaft) noch ein wunderbares, kleines, optimistisches Weihnachtsstück des großartigen schwedischen Jazzmusikers Nils Landgren, „This Christmas“, verbunden mit der Botschaft, dass wir den Wandel schaffen können, wenn wir nur wollen: Hier geht’s zur Musik.

Alles Gute, herzliche Grüße,

Ihr/Euer Burkhard Horn